421 5nach6_21.03.25_7 W ohne Panik 4 Ps 104
Bei den Andachten in der diesjährigen Fastenzeit orientiere ich mich am evangelischen Fastenkalender mit dem Motto „Luft holen! 7 Wochen ohne Panik“. Für die letzte Woche hatte der Kalender ja das Thema „Seufzen“.
Für diese Woche ist vorgesehen das Thema „Singen“.
„Ach, du Schreck!“, dachte ich. „Ausgerechnet Singen!“ Ich bin ein ziemlich unmusikalischer Mensch, obwohl ich viele Lieder gerne hören und auch – eher leise – mitsinge. In der ersten Klasse mussten wir nämlich zum Singen aufstehen. Der Lehrer ging herum und meinte, dass ich mich setzen könnte und auch gar nicht oder zumindest nicht laut mitsingen müsste. Das ist der Hauptgrund für mein gestörtes Verhältnis zum Singen.
Welchen biblischen Text würde der Kalender wohl zum Stichwort „Singen“ anführen?
Überraschung! Keine Engelsgesänge, nicht das Lied der Miriam bei der Befreiung der Israeliten aus Ägypten, nicht das Loblied der Maria, nicht das Hohelied der Liebe, nicht einmal einen Psalm!
Jona. Jona singt? Wer erinnern uns: Jona hat als Prophet Gottes den Auftrag, die Menschen der Stadt Ninive, die auf einem gotteslästerlichen Irrweg unterwegs sind, zur Vernunft zu bringen. Aber Jona fühlt sich dem Auftrag nicht gewachsen. Er flieht auf einem Schiff vor dieser Aufgabe und vor Gott. Das Schiff gerät in Seenot – eine Strafe Gottes, wie die Seeleute meinen. Jona bekennt, dass er einen Auftrag Gottes verweigert hat, die Seeleute werfen ihn über Bord und das Schiff erreicht sicher den nächsten Hafen. Jona aber wird von einem Wal verschluckt. Soweit diese eindrückliche Erzählung. Im Buch des Propheten Jona lesen wir im 2. Kapitel (2-11 i.A.):
2Im Bauch des Fisches betete Jona zu … Gott (und das dürfen wir uns zunächst durchaus als Klagelied vorstellen):
3Als ich in Not war, schrie ich laut. Ich rief zum Herrn und er antwortete mir … 4In die Tiefe hattest du mich geworfen, mitten in den Strudel der Meere hinein. Wasserströme um-gaben mich. Alle deine Wellen und Wogen – sie schlugen über mir zusammen!
5Da dachte ich: Jetzt bin ich verloren, verstoßen aus deinen Augen … 6Das Wasser stand mir bis zum Hals. Fluten der Urzeit umgaben mich. Seetang schlang sich mir um den Kopf … Und dann wird aus dem Klagelied ein hoffnungsvolles Dank- und Loblied:
Du aber hast mein Leben aus dem Abgrund gezogen, du Herr, du bist ja mein Gott. 8Als ich am Ende war, erinnerte ich mich an den Herrn. Mein Gebet drang durch zu dir, bis in deinen heiligen Tempel … 10Ich aber will dir mit lauter Stimme danken, ... Auch meine Gelübde werde ich erfüllen. Hilfe findet sich beim Herrn!
11Da befahl der Herr dem Fisch, Jona an Land zu bringen. Dort spuckte der Fisch ihn aus.
Ganz schön gruselig, die Vorstellung, lebendig von einem großen Fisch verschluckt zu werden. Neulich ist es einem Wassersportler kurzfristig ähnlich ergangen – angeblich. … Wann schnürt sich mir vor Angst die Kehle zu? Wann bleibt mir die Luft weg? Wann kommt bei mir die Panik hoch? Was tue ich dann? Werde ich stumm oder laut? Jona im Fisch setzt seiner Panik etwas entgegen. Tief holt er Luft und stimmt ein Lied an. Er singt die Angst sich heraus.
Die Redensart vom Pfeifen im finsteren Wald oder vom Singen im furchterregend dunklen Keller kommt mir in den Sinn.
Bei Jona wird es ein gesungenes Gebet an Gott. Er legt alles hinein, was ihn verzweifeln lässt, aber auch, was ihn hoffen und vertrauen lässt. Danach geht die Geschichte gut aus. Vor allem bringt uns Jona bei: Was mir den Atem raubt, was mich panisch macht, was mich verzweifeln lässt, muss heraus. Mit wütendem Gebrüll? Zuweilen funktioniert ein Lied sogar besser. (S.Schardien in: Ev. Verlagsanstalt -Hg.- Fastenkalender Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik, Leipzig, 2024, Tag 20. März).
Im Fastenkalender erzählt ein 11-Jähriger von einem Lehrer, der Klassenkameraden/in-nen aufs Übelste fertigmacht. Irgendwann hat es uns allen gereicht und als der Lehrer wieder mal in Fahrt war, hat einer von uns angefangen „Die Gedanken sind frei“ zu singen. Das hatten wir nämlich gerade bei unserer Klassenlehrerin gelernt. … Und dann haben alle aus der Klasse mitgesungen. Der Lehrer ist aus dem Zimmer raus … und später durfte er an unserer Schule nicht wieder unterrichten. (Ev. Verlagsanstalt -Hg.- Fastenkalender Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik, Leipzig, 2024, Tag 22. März).
„Die Gedanken sind frei“ als Protestsong, als Aufschrei gegen das Unrecht - mit dem gewissen Funken Hoffnung darin. Das passt übrigens gut zum geschichtlichen Hintergrund dieses Liedes.
Auch wir als Kirche verfügen über einen beachtlichen Schatz an Liedern, die mit dem Mut der Verzweiflung Not und Bedrohung herausschreien und gleichzeitig ermutigend und hoffnungsstiftend dagegen ansingen.
Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
mit Ernst er’s jetzt meint,
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist,
auf Erd ist nicht seinsgleichen.
Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.
Ja, mit „Ein feste Burg“ (EG 362) auf den Lippen sind z.B. aufständische Protestanten gegen Unterdrückung ins Feld gezogen.
In diese Tradition des Klagens und kämpferischen Hoffens gehören auch viele Spirituals, die die Sklaven auf den amerikanischen Baumwollfeldern sangen. Eines der bekanntesten ist Go Down Moses, auch bekannt als When Israel was in Egypt’s land oder Let My People Go. Es beschreibt Ereignisse des Alten Testaments, besonders jene Stelle, in der Gott Mose befiehlt, beim Pharao die Freilassung der Israeliten zu fordern:
When Israel was in Egypt’s land:
Let my people go,
Oppress’d so hard they could not stand,
Let my People go.
Go down, Moses,
Way down in Egypt land,
Tell old Pharaoh,
Let my people go.
Als Israel in Ägypten weilte:
Lass mein Volk ziehen!
So hart unterdrückt,
dass sie es nicht mehr aushielten,
lass mein Volk ziehen!
Geh hinunter, Mose,
Hinunter nach Ägypten,
Sag dem alten Pharao:
Lass mein Volk ziehen!
Ein weiteres Beispiel ist das berühmte „We shall overcome“, das eine wichtige Rolle in der US-Bürgerrechtsbewegung spielte. Die Refrainzeile bedeutet: „Wir werden (es) überwinden!“ Titel und Song werden heute weltweit als musikalischer Protest gegen j Missstände verwendet. Die bekannteste Fassung des Liedes stammt von Joan Baez:
We shall overcome
We shall overcome
We shall overcome, someday
Oh, deep in my heart
I know that I do believe
We shall overcome, someday
We shall live in peace
We shall live in peace
We shall live in peace, someday
Oh, deep in my heart
I know that I do believe
We shall overcome, someday
Wir werden es überwinden, wir werden es überwinden,
wir werden es eines Tages überwinden.
Oh, tief in meinem Herzen glaube ich fest daran: Wir werden es eines Tages überwinden.
Wir werden in Frieden leben, wir werden in Frieden leben,
wir werden eines Tages in Frieden leben.
Oh, tief in meinem Herzen glaube ich fest daran:
wir werden eines Tages in Frieden leben.
Auch von den Kirchentagen – dieses Jahr übrigens wieder in Hannover (Mittwoch, 30. 04. – Sonntag, 04.05.) – kennen wir die Kraft der Lieder und der Posaunen.